Dietmar Strauß/Vor­bild­liche Bauten 2008

Nachhaltigkeit – Mehrwert für die Zukunft schaf­fen

Das Prinzip der Nachhaltigkeit genießt in Hessen einen hohen Stellenwert. Im Oktober 2018 wurde es als eigenständiges Staatsziel in der hes­si­schen Verfassung verankert. Damit wurde für alle staatlichen und kommunalen Handlungsfelder reklamiert, dass Gestaltungs­spielräume der heutigen Generationen nicht zulasten der künftigen Generationen ausgenutzt werden dürfen. Was bedeutet dies für den Planungs- und Bauprozess?

Nachhaltiges Planen und Bauen heißt, die sozialen, ökologischen und wirt­schaftlichen Aspekte eines Projekts ganzheitlich zu betrachten und so zu vereinen, dass heute und in der Zukunft materielle und immaterielle Werte sowie Ressourcen und Umwelt geschützt werden.

AKH/Joachim Mildner

Durch Planungen werden heute die Weichen für morgen gestellt. Wie wollen wir zukünftig leben? Welche Werte leiten das Handeln? Ar­chi­tekt*in­nen, Innen­architekt*innen, Landschafts­architekt*innen und Stadt­planer*innen prägen mit ihrer Arbeit langfristig Städte, Landschaften und Regionen. Ihnen kommt gemeinsam mit ihren Auftraggeber*innen, der Bauindustrie und dem Handwerk eine besondere Ver­ant­wor­tung zu. Erst ein Gebäude, das sich auf­grund seiner ar­chi­tek­to­nischen Qualität über Jahrzehnte in der (Um-)Nutzung bewährt, ein Quar­tier, das kompakt in der Struktur flexibel unterschiedliche Ent­wick­lungen ermöglicht, ein Freiraum, der den Bedürfnissen von Menschen und Umwelt entspricht, wird dem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht und ist im Sinne der Gesellschaft werthaltig.

Nachhaltiges Planen und Bauen ist eine Gemein­schaftsaufgabe. Nachhaltiges Umsteuern braucht Ideen und Kreativität. Ar­chi­tekt*in­nen, Innen­architekt*innen, Landschafts­architekt*innen und Stadt­planer*innen können Impulsgeber, ihre Projekte Katalysator auf dem Weg gelebter Nachhaltigkeit sein.

Die Aufgabe ist keine geringere, als die materielle Grundlage unserer Zivilisation umzugestalten. Die große Barriere liegt in unseren Köpfen – wir können uns eine nach­haltige Zukunft, nach­haltiges Bauen für die Zukunft noch nicht vorstellen. Auf einem Planeten mit viel Armut ist der Mangel an Vorstellungskraft die größte Armut. An diese Armut dürfen wir uns nicht gewöhnen. Architekten, Planer und Ingenieure haben beste Voraussetzungen, die Bau­steine einer nach­haltigen, besseren Zukunft zu entwickeln, zu visualisieren und in den großen globalen Zusammen­hang zu stellen, nicht als Tagträumerei, sondern wie Städte und Häuser als Ganzes sowie im Detail aussehen könnten.

Manfred Hegger: Die Dinge richtig tun – über Effizienz und Nachhaltigkeit. In: Energie Atlas, München 2007

Global, National, Regional

Politische Ziele

Im Dezember 2015 erklärt die inter­nationale Staatengemeinschaft bei den Klimaverhandlungen in Paris, dass der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur auf deutlich unter zwei Grad gehalten werden soll.

Im November 2016 verabschiedet die Bundes­regierung als eines der ersten Länder die im Pariser Abkommen geforderte Klima­schutzlangfriststrategie. Mit dem Klima­schutzplan 2050 wird die weitestgehende Klimaneutralität Deutsch­lands bis zum Jahr 2050 angestrebt. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent geringer sein als gegenüber dem Basisjahr 1990.

Im Koalitionsvertrag der Bundes­regierung von 2018 wird erkannt, dass das Klimaziel für 2020 nicht erreicht wird. Im Energiebereich ist weiterhin geplant, den Anteil der erneuerbaren Energien auf etwa 65 Prozent bis 2030 zu erhöhen.

Im März 2017 wird der Integrierte Klima­schutzplan Hessen 2025 mit dem Ziel beschlossen, bis 2020 die Treibhausgasemissionen um 30 Prozent im Vergleich zu 1990 und bis 2025 um 40 Prozent zu reduzieren. 2019 beschließt die Landes­regierung, bis 2030 die Emissionen um 55 Prozent zu reduzieren. Bis spätestens 2050 soll Hessen klimaneutral sein.

Zahlen, Daten, Fakten

Status Quo

2018 betrugen die Treibhausgasemissionen in Deutsch­land rund 866 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Davon entfielen 35,9 Prozent auf die Energiewirtschaft, 22,6 Prozent auf den Sektor Industrie, 18,7 Prozent auf den Sektor Verkehr, 13,5 Prozent auf den Sektor Gebäude, 8,1 Prozent auf den Sektor Landwirtschaft und 1,2 Prozent auf die Abfallwirtschaft und Sonstige.

Bei den Gebäuden sind nur die direkten Treibhausgasemissionen berücksichtigt, beispielsweise durch die Verbrennung von Öl oder Gas. Die Emissionen, die indirekt durch die Versorgung mit Strom oder Fernwärme entstehen, werden meist der Energiewirtschaft zugewiesen (Verursacherprinzip). Nimmt man diese hinzu, liegen die Treibhausgasemissionen des Gebäudebereichs rund doppelt so hoch.

Mäßigung beim Flächenbedarf findet in der aktuellen Energiepolitik nur unzureichend Berücksichtigung. Trotz gut gedämmter Gebäude und energie­effi­zienter Anlagentechnik steigt der Energiebedarf auf­grund wachsender Wohnflächen bisher stetig an. Seit 1960 hat sich der Pro-Kopf-Wohnflächenbedarf verdoppelt. Von 46,1 m²/Person im Jahr 2011 lag er im Jahr 2018 bei 46,7 m²/Person.

Der Verkehrssektor verursacht rund ein Fünftel der Treibhausgasemissionen in Deutsch­land. Anders als in anderen Sektoren haben sich die Emissionen hier seit 1990 erhöht und nicht reduziert. Von der autoge­rech­ten Stadt zur mobilitätsge­rech­ten Region - nach­haltige Mobilitätskonzepte werden zur zentralen kommunalpo­li­ti­schen Heraus­forderung.

Mit 40,3 Millionen Wohnungen in 18,4 Millionen Wohngebäuden und knapp 3 Millionen Nichtwohngebäude bildet der Gebäudebestand den ent­scheidenden Hebel zum Erreichen der Klima­schutzziele. Die Energiewende setzt daher den Erfolg in der Wärmewende, d.h. in der Trans­for­ma­ti­on des Gebäudebestandes voraus. Denn über 50 Prozent der Endenergie wird für die Erzeugung von Wärme eingesetzt. Nur ein Fünftel des Endenergieverbrauchs wird als elektrischer Strom verbraucht.

Geht es um Klima­schutzmaßnahmen im Gebäudesektor, richtet sich der Fokus des Ordnungsrechts und der Förderung bislang überwiegend auf den baulichen Wärmeschutz und den Einsatz erneuerbarer Energien. Aber auch der Standort eines Gebäudes, die infrastrukturelle Anbindung und die Siedlungsdichte sind Faktoren von hoher Relevanz für den Klima­schutz. Die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr sind vor dem Hintergrund einer ressourceneffizienten und kostenoptimalen Durchsetzung der Klimaziele nicht länger getrennt voneinander zu betrachten.

Nachhaltig planen heißt ...

Phase null nutzen

Ob im Städtebau, in der Freiraum­planung oder in der Ar­chi­tek­tur, für jede Maßstabsebene gilt: Die wesentlichen Weichen für eine Planungs- und/oder Bau­aufgabe werden am Anfang eines Projektes gestellt. Die Beeinflussbarkeit von Qualitäten und Kosten ist in diesem frühen Stadium am größten. Der „Phase 0“ vor Beginn der Planung kommt daher eine besondere Be­deutung zu. Ihr sollte ausreichend Zeit eingeräumt werden, denn sie dient der Klärung der Projektziele, der frühzeitigen Einbindung der relevanten Akteure (z.B. Bauherr*in, Nutzer*in und Betreiber*in bis hin zu Nachbarschaft, Öffentlichkeit und Verwaltung) und der Diskussion von alternativen Lösungsansätzen und Ent­wick­lungsszenarien. In einem ge­meinsamen Abwägungsprozess werden – unter Berücksichtigung der „harten Fakten“ (v. a. Budget, Zeit, gesetzliche Vorgaben) – die Ent­wick­lungsziele für ein Projekt ausgehandelt, Bedarfsplanungen optimiert (→ Suffizienz) und geeignete Verfahren der Partizipation von Interessengruppen abgestimmt.

AKH/Christoph Rau
Zukunfts­werk­statt 2040; Architekten- und Stadt­planer­kammer Hessen
ARGE Christian Thomann Architekt, heimspiel architekten
Wettbewerb Rathaus Korbach; ARGE Christian Thomann Architekt / heimspiel architekten

Nachhaltigkeit in Wettbewerben einfordern

Nachhaltiges Bauen setzt voraus, bereits in den frühen Planungsphasen die Anforderungen an den Umweltschutz, an die Wirtschaftlichkeit und an Gesundheit, Behaglichkeit und Komfortanspruche der zukünftigen Nutzer*innen in der Planung zu berücksichtigen. Durch Planungs­wettbe­werbe kann die jeweils beste Lösung für eine Planungs- oder Bau­aufgabe gefunden werden. Nachhaltigkeitsanforderungen sind daher frühzeitig in die Aufgabenstellung von Wettbewerben zu integrieren. Allerdings sollte eine Fokussierung auf vorentwurfsrelevante, gestaltprägende Aspekte erfolgen. Das Bundes­ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bietet mit der Systematik für Nachhaltigkeitsanforderungen in Planungs­wettbe­werben (SNAP) eine praxisnahe Arbeitshilfe an. Für die Bereiche „Funktionalität, Komfort und Gesundheit, Wirtschaftlichkeit, Ressource und Energie“ wird eine Aus­wahl aufgabenspezifischer Indikatoren vorgestellt.

Experimente wagen und Zukunft imaginieren

Aktuelle Beispiele in der Ar­chi­tek­tur, im Städtebau und in der Freiraum­planung zeigen, ökologisches Umdenken bedeutet nicht Verzicht, sondern einen Gewinn an Lebens­qualität. Nachhaltigkeit sinnlich zu erfahrbar zu machen, zukünftige Ent­wick­lungen zu imaginieren und damit verbale Ziele, räumlich zu übersetzen, darin liegt eine große Chance für die planende Profession. Doch Ent­wick­lungen vorauszudenken und für komplexe Anforderungen ganzheitliche Lösungen zu suchen, erfordert Kreativität und den Mut, neue Wege zu beschreiten. In­no­vation setzt die Möglichkeit des Experiments, des Auswertens und Weiterentwickelns voraus. Experimentierklauseln innerhalb des gesetzlichen Rahmens schaf­fen hierfür den nötigen Freiraum. Sie sind un­verzicht­bar, um die Zukunft auch langfristig gestalten zu können.

wikipedia/Jeff Kubina
Solar Decathlon 2007; Technische Univer­sität Darm­stadt, Fachbereich Ar­chi­tek­tur, Fachgebiet Entwerfen und Energieeffizientes Bauen (ee)

Ar­chi­tek­tur nach­haltig gestalten heißt ...

Cantón Thielen Architekten
Graues Haus, Oberursel; Cantón Thielen Architekten; Vor­bild­liche Bauten 2008

Einfach bauen – less is more

Nachhaltige Gebäude erfordern einen angepassten Entwurf. Mit gestalterischen und konstruktiven Lösungen sowie eine auf lokale Bedingungen angepasste Bauweise lassen sich die Anforderungen an Raumluft, Innentemperatur und Belichtung mit reduziertem Einsatz technischer Anlagen erfüllen. Eine einfache Bauweise er­mög­lichen mehr Kontrolle durch den Nutzer*in, den einfachen Austausch einzelner Systeme und Änderungen der Nutzung sowie eine bessere Rückbaubarkeit. Investitions-, Energie- und Wartungskosten können so deutlich reduziert werden.

den Lebenszyklus in die Gebäudebewertung einbeziehen

Die derzeitigen gesetzlichen Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäude richten sich an den Energiedarf in der Nutzungsphase. Mehr Dämmung, bessere Anlagentechnik und der Einsatz von erneuerbaren Energie machen Gebäude effizienter und senken den Energiebedarf. Damit wächst jedoch der Anteil und die Be­deutung der grauen Energie, nämlich der die bei Herstellung, Errichtung und Entsorgung des Gebäudes und seiner verwendeten Bauprodukte benötigt wird. Ihre Einbeziehung in die Energiebilanz wird erforderlich. Die Erfassung erfolgt über eine Ökobilanzierung (Life Cycle Assessment - LCA), die neben der Energie auch den Ressourcenverbrauch und die Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes – von der Errichtung bis zum Rückbau – berücksichtigt. Durch gezielten Einsatz ressourcenschonender und umweltverträglicher Materialen und die Möglichkeit, Baustoffe nach der Nutzung zu recyceln oder wieder zu verwenden, lässt sich so die Umweltwirkung ganzheitlich reduzieren.

Roland Halbe
Alnatura Campus, Darm­stadt; haas cook zemmrich STUDIO 2050; Preisträger 2019 Deutsche Stiftung Nachhaltigkeit
R. Reichel/Reichel Architekten
Anbau denkmalgeschütztes Landhaus, Kassel; Reichel Architekten BDA; Tag der Ar­chi­tek­tur 2018

Weiterbauen – Bestand braucht Haltung

Bestandgebäude sind Teil des kulturellen und gesell­schaft­lichen Lebens in der Stadt und in den ländlichen Regionen. Identifikation mit der gebauten Umwelt erfolgt durch die vertrauten Gebäude. Ihr Erhalt ist daher wichtig für unser kulturelles Erbe. Sanierung, Modernisierung und Umnutzung bestehender Bausubstanz hat darüber hinaus noch einen energetischen Nutzen. Die Energie, die für die Erstellung eines Gebäudes erforderlich war, die „Graue Energie“, bleibt erhalten und Ressourcen werden geschont. Dies gilt selbst bei umfangreichen Sanierungsmaßnahmen, da ein Großteil der aufgewendeten Energie im Tragwerk steckt.

Stadt nach­haltig entwickeln heißt ...

auf qualifizierte Innenentwicklung setzen

Das Leben in Städten und Metropolen ist attraktiv. Steigende Einwohnerzahlen setzen Städte jedoch unter Druck – Wohnraum und Bauflächen sind knapp, Infrastrukturen kommen an ihre Kapazitätsgrenzen. Steigende Mieten und Grundstückspreise, Schadstoff belastete Luft sowie überfüllte Straßen, Busse und Bahnen sind nur einige Symptome des steten Zuzugs. Der Handlungsdruck, neuen Wohnraum zu schaf­fen und gleichzeitig Flächen und Ressourcen zu sparen, macht die Nachverdichtung bestehender Städte und Quar­tie­re erforderlich. Nachverdichtung kann aber nur bei Sicherung und Qualifizierung von Freiräumen und der Ent­wick­lung neuer intelligenter Mobilitätskonzepte gelingen. Gleichzeitig bedarf es neuer Formen der Mischung. Arbeiten, Wohnen und Freizeit in unmittelbarer Nachbarschaft reduziert Wege und belebt den öffentlichen Raum. Multicodierte Gebäude oder Stadträume erlauben unterschiedliche Nutzungen im Tagesverlauf. Flächen werden dadurch effizienter genutzt. Eine nach­haltige Stadtentwicklung bedeutet, Siedlungs-, Freiraum- und Verkehrsentwicklung gemeinsam integriert zu betrachten.

Thomas Eicken Fotografie
Jugendhaus Falltorstraße, Darm­stadt; Matthias Schrimpf Architekten; Vor­bild­liche Bauten 2011
Walter M. Rammler
Quar­tiersplatz Am Hirtsrain, Fulda; Mann Land­schafts­architektur; Vor­bild­liche Bauten 2014

Freiräume qualifizieren und grün/blau Infrastruktur ausbauen

Urbane Frei- und Stadträume sind so vielfältig, wie ihre Funktionen. Parkanlagen und Friedhöfe, Alleen und Plätze, Sportanlagen und Schrebergärten sind nur ein Teil der zahlreichen unter­schiedlichen Typen städtischer Räume und bieten ein großes Potential der grün/blauen Infrastruktur. Die sozialen, ökologischen, ökonomischen sowie kulturellen und iden­ti­täts­stiftende Funktionen, welche die Freiräume erfüllen, werden durch den Klimawandel und die zunehmende Dichte der Städte mehr gefordert als bisher. Extre Hitze und Trockenheit stellen nicht nur für die Natur große Heraus­forderungen dar, sondern auch für die Bewohner – bis hin zu gesundheitlichen Risiken. Grün- und Wasserflächen, Dach- und Fassadenbegrünung, Verschattung von Stadträumen und Entsiegelung von Flächen können das Stadtklima verbessern. Gleichzeitig gilt es die Städte auf Starkregen und Sturmereignisse vorzubereiten. Die planerischen Möglichkeiten, auf den Klimawandel zu reagieren, sind zahlreich, jedoch zunehmend wichtig, um die Lebens­qualität unserer Städte zu erhalten.

Mobilität intelligent steuern

Der motorisierte Individualverkehr prägt derzeit noch die Nutzung und die Gestaltung der Stadt- und Verkehrsräume und damit maßgeblich die Qualität und Attraktivität des öffentlichen Raums. Ziel der Stadtentwicklung und des Stadtumbaus muss es sein, diesen Raum den Menschen zurückzugeben. Weniger Autoverkehr bedeutet mehr Wohn- und Lebens­qualität. Kurze Wege für die Beschaffung von Güter des täglichen Bedarfs, gute Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr, Förderung von Car- und Ridesharing, effizientes Parkraummanagement und intelligente Steuerung des Verkehrsnetz sind nur einige Handlungsfelder auf dem Weg von der autoge­rech­ten Stadt zur mobilitätsge­rech­ten Region.

Moritz Bernoulli
Haltestelle Musterschule, Frank­furt/Main; Kölling Architekten BDA; Vor­bild­liche Bauten 2017

Landschaft nach­haltig planen heißt …

Landes­garten­schau Gießen GmbH
Landes­garten­schau Gießen; geskes.hack Landschafts­architekten GmbH; Tag der Ar­chi­tek­tur 2014

Flächenverbrauch reduzieren

Fläche ist eine endliche Ressource. In den letzten 60 Jahren hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutsch­land mehr als verdoppelt. In Hessen werden derzeit täglich knapp 3 Hektar unbebaute Fläche für neue Gewerbe- oder Wohngebiete ausgewiesen oder für den Ausbau von Straßen und anderer Infrastruktur genutzt. Ökologisch wertvolle Böden werden vernichtet, zusammenhängende Landschafts- und Naturräume zergliedert. Durch die zunehmende Zersiedelung sinkt die Auslastung von sozialen und technischen Infrastrukturen und damit deren Rentabilität. „Vermeiden – Verwerten – Ausgleichen“ sind die drei Säulen einer nach­haltigen Flächenkreislaufwirtschaft. Zu der vorrangigen Innenentwicklung, d.h. der Nutzung von Baulücken, Brachflächen und Nachverdichtungspotentialen, tritt die Entsiegelung und Renaturierung als Ausgleich für die Erschließung von Flächen auf der „grünen Wiese“.

Energielandschaften gestalten

Die Endlichkeit der fossilen Ressourcen sowie der Klimawandel führen zur Energiewende und dem Bestreben einer nach­haltigen Energieversorgung mit erneuerbaren Energien. Der geplante energetische Umbau zeigt sich bereits vielerorts in einer neuen Nutzung und Verwertung von Landschaft. Neue Formen der Energie­gewinnung, der Speicherung und des Transports regenerativer Energien verändern die traditionellen Landschaftsbilder. Windfarmen, Solarplantagen, Kurzumtriebsflächen, Stromtrassen u.a. bilden einen neuen Typus von Produktionslandschaft, den es nicht nur technisch zu organisieren, sondern auch zu gestalten gilt. Eine verstärkte (landschafts-) planerische Gestaltung von Energieinfrastrukturen im Außenbereich ist ein zentrales Instrument, um die gesellschaftliche Akzeptanz einer auf flächenintensiven erneuerbaren Energien basierenden Energiewende zu erhöhen. Durch die kluge Integration von Beteiligungsverfahren wird die Teilhabe der Bevölkerung am Gestaltungsprozess ermöglicht.

Ralf Heidenreich
Neubau Heizzentrale, Babenhausen; Eßmann Gärtner Nieper Architekten; Tag der Ar­chi­tek­tur 2015
Werner Huthmacher
Keltenmuseum am Glauberg; kadawittfeldarchitektur GmbH; Vor­bild­liche Bauten 2011

Kulturlandschaften entwickeln

Die massive Inanspruchnahme von Landschaft für Siedlung und Verkehr, zur Energieerzeugung, aber auch der Klima- und agrarstrukturelle Wandel führen zu teils ungesteuerten Veränderungen der Kultur- und Naturlandschaften und damit zu einem Wandel bis hin zu einem Verlust regio­naler Identitäten. Die Sicherung, Pflege und Ent­wick­lung von Landschaft gehört deshalb zu den Kernthemen eines zukunftsge­rech­ten Umgangs mit Raum und Umwelt. Markante Kulturlandschaften sind ein herausragender Standortfaktor für die wirtschaftliche Ent­wick­lung und den Tourismus. Ihr Charakter bestimmt die Attraktivität und Unverwechselbarkeit der Umwelt als Wohn-, Arbeits- und Er­holungsraum. Entwerferisches Handeln ist gefragt, das darauf zielt, räumliche Qualitäten zu entwickeln, Besonderheiten herauszuarbeiten und erlebbar zu machen.

Energiewende und Klima­schutz sind Generationenaufgaben und Verpflichtungen für die Koalition auch in der 20. Legislaturperiode.

Koalitionsvertrag zwischen der CDU Hessen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen für die 20. Legislaturperiode.

Nachhaltigkeit in Hessen – Ein Staatsziel

Mit der Volksabstimmung im Jahr 2018 wurde das Prinzip der Nachhaltigkeit als neues Staatsziel in der Hessischen Landesverfassung verankert. Damit sollen bei allen staatlichen und kommunalen Handlungen die Interessen künftiger Generationen gewahrt werden. Auch die Förderung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land durch die Errichtung und den Erhalt von technischer, digitaler und sozialer Infrastruktur wurde als neues Staatsziel formuliert und somit ein wichtiger Bau­stein für die soziale Nachhaltigkeit in der Landesverfassung verankert.

Im Koalitionsvertrag der Hessischen Landes­regierung vom 20.12.2018 werden die Ziele der Nachhaltigkeit u.a. durch zahlreiche Projekte zu den Themen Energiewende, Mobilität sowie Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutz adressiert. Auch Hessen bekennt sich zu den Zielen und Vereinbarungen des Weltklimavertrags von Paris und möchte dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen.

Eines der wichtigsten Instrumente hierfür ist die Nachhaltig­keits­strategie Hessen. Nach ihrem zehnjährigen Bestehen im Jahr 2018 wurde sie evaluiert und erfuhr eine Neuausrichtung. Die Nachhaltig­keits­strategie dient als Plattform für Akteure aus Gesellschaft, Unternehmen, Politik und Verwaltung, um gemeinsam an neuen Lösungen und innovativen Ideen für ein nach­haltiges Hessen zu arbeiten. Die Hessische Landes­regierung möchte dieses Format auch zukünftig fortsetzen und weiter­entwickeln.

Der Landes­ent­wicklungsplan Hessen 2000 (LEP 2000) befindet sich ebenso in der Fortschreibung. Mit der 4. Änderung werden die Themen Raumstruktur, Zentrale Orte und großflächiger Einzel­handel adressiert. Die Fortschreibung der Raumkategorien und Analysen zur Zentrale Orte-Gliederung sind ein wichtiger Bau­stein zur Schaffung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Hessen. Die Vorgabe, die Flächeninanspruchnahme auf durchschnittlich 2,5 ha/Tag zu begrenzen, ist bereits im LEP 2000 enthalten. Kommunen sollen bei den Bemühungen einer flächensparenden Ent­wick­lung unter­stützt werden. Der Grundsatz „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ wird beispielsweise durch Förderprogramme zur Aktivierung von Leerständen in Ortskernen und der Umwandlung zu Wohnraum gestärkt.

Die Sicherstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land soll im Rahmen der Aufstellung von Regionalplänen ihre Berücksichtigung finden. Angepasste Ent­wick­lungs- und Förderstrategien für den ländlichen Raum sollen im Rahmen von Regionalkonferenzen unter Beteiligung kommunaler Ver­ant­wor­tungsträgern erarbeitet werden.

Der Erweiterungsanbau des Hessischen Finanzministeriums in Wies­ba­den ist in Hessen das erste und bislang einzige Landesgebäude, das gemäß dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) realisiert wurde.

Mit gutem Beispiel voran

Ziel: CO2-neutrale Landesverwaltung bis 2030

Hessisches Ministerium der Finanzen

Nachhaltigkeit zertifizieren

Das nach­haltige Bauen – als wichtiger Bestandteil der 2017 fortgeschriebenen deutschen Nachhaltig­keits­strategie – ist im Bundesbau seit vielen Jahren ein selbstverständlicher Teil der Planungs- und Bauprozesse. Hierfür spricht nicht nur die notwendige Vorbildfunktion des Bundes als größter öffentlicher Bauherr in Deutsch­land, sondern auch die Notwendigkeit zur Umsetzung aktueller po­li­ti­scher Zielsetzungen. Mit dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) für Bundesgebäude steht erstmalig ein zum Leitfaden Nachhaltiges Bauen ergänzendes ganzheitliches quantitatives Bewertungsverfahren für Büro und Verwaltungsbauten zur Verfügung. Um seiner Vorbildfunktion zu entsprechen, wurde das Zertifizierungssystem für zivile Bau­maßnahmen des Bundes verpflichtend eingeführt. Die bisherigen Zertifizierungen des Bundes zeigen bereits, dass sich auch hohe Nachhaltigkeitsqualitäten durchaus wirtschaftlich realisieren lassen. Einige Bundesländer haben das BNB bereits in ihrer Zuständigkeit eingeführt oder sammeln entsprechende Erfahrungen in Pilotvorhaben.

Publikation zum Thema Energie­einsparung und nach­haltigem Bauen

EinSparHaus – Energieeffiziente Ar­chi­tek­tur
Akademie der Architekten- und Stadt­planer­kammer Hessen / Martin Sommer (Hrsg.)
Jovis: Berlin 2009

Zum Inhalt

Sustainability Paper 1

Mit Beiträgen von Michael Boddenberg, Hessischer Minister der Finanzen, Florian Dreher, Referent Bau­kultur, Wirtschaft und Hochschulwesen, AKH, Brigitte Holz, Präsidentin der AKH, Fiona Marker, Germanwatch/Fridays for Future Berlin, Gertrudis Peters, Stv. Haupt­geschäfts­führerin, AKH, Prof. Dr. Harald Welzer, FUTURZWEI – Stiftung Zukunftsfähigkeit, Berlin.

56 S., ca. 33 Abb., AKH: Wies­ba­den 2021

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Sustainability Paper 2

Mit Beiträgen von Birgitte Holz, Präsidentin der AKH, Dr. Martin Worms, Staatssekretär im Hessischen Ministerium der Finanzen, der inter­nationalen Fachjury sowie alle Projekte der Short-List-Nominierungen und der Preisträger*innen.

176 S., ca. 200 Abb., AKH: Wies­ba­den 2021

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