Constantin Meyer/Vor­bild­liche Bauten 2017

Schulbau – Neue Lern­landschaften für Hessen!

Neben einer geforderten Wohnbauoffensive um die gegenwärtig dringlichste Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum zu lösen, steht auch der Bedarf nach gutem und modernem Schulbau im Fokus der landespo­li­ti­schen Diskussion.

Guter Schulbau leistet als soziale Infrastruktur einen wesentlichen Beitrag zum Politikziel der Hessischen Landesverfassung zur Anpassung gleicher Lebensverhältnisse von Stadt und Land – sie wird zum Standortfaktor. Dem öffentlichen Bauen und der Demokratie als Bauherr kommt an dieser Stelle eine Vorbildfunktion zu. Vor allem der Schulbau muss wieder als gebaute Lebensumwelt begriffen werden, denn Räume prägen.

Aktuelle Heraus­forderungen im Schulbau

Bundesweit wird ein Investitionsbedarf bei Schulen und Erwachsenen Bildung von 32,6 Mrd. Euro berechnet. Hessen liegt im Ländervergleich mit seinen Bildungsausgaben auf Platz 4. (Quelle: KfW Kommunalpanel 2017 und DeStatis 13.06.2017)

Der ländliche Raum schrumpft und die Metropolregionen wachsen. Bis 2023 wird ein Bevölkerungswachstum allein für Frank­furt am Main auf 810.000 Menschen im Vergleich zu 2017 mit 730.000 Einwohnern prognostiziert. (Quelle: Stadt frankfurt am Main: Frank­furter Statistische Berichte 2019)

Steigende Schülerzahlen in den Metropolen: In den nächsten vier Jahren sollen die Schülerzahlen an öffentlichen Schulen von derzeitig 63.000 Schülern um zusätzliche 10.000 schulpflichtigen Kindern allein in Frank­furt am Main ansteigen. (Quelle: Stadt Frank­furt am Main: Integrierter Schulentwicklungsplan der Stadt Frank­furt am Main 2016-2020, 2016)

Der Frontalunterricht, große Schülerklassen und die Flurschule sind nicht mehr zeitgemäß. Der traditionelle Schultyp ist damit unter Druck gestellt. Die Einführung und der gesetzliche Anspruch auf Ganztagsbetreuung, des ge­meinsamen Lernens, kleinere Klassen und inklusiver Pädagogik bedürfen einer adäquaten räumlichen Entsprechung.

Geeigneter Baugrund ist spekulativen Begehrlichkeiten ausgesetzt. Die Endlichkeit und Verknappung der Ressource Boden stellt ein großes Hindernis für Innen- wie Außenentwicklung dar. Zudem fordert die Hessische Landes­regierung im Sinne des Ressourcenschutzes die Versiegelung auf 2,5 ha/Tag in Hessen zu begrenzen. (Quelle: Hessische Landes­regierung, Großer Frank­furter Bogen)

Die heißen Sommer stressen die hochverdichteten Städte mit großem Versiegelungsanteil, mangelnden Kaltluftschneisen und wenig Stadt­grün – ihre Zentren werden im wahrsten Sinne des Wortes zu „hot spots“. Der Klimawandel heizt die Innenstädte zusätzlich auf und zeigt seine Wirkung. Es führt zu gesundheitlichen Beschwerden. (Quelle: Klimaplanatlas Frank­furt am Main 2016)

Der Bausektor bedarf 36 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und ist für ca. 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes (2017) mitverantwortlich.(Quelle: UN-Studie, The Global Status Report 2018)

Ziel der Schulbauleitlinien im Landkreis Darm­stadt-Dieburg ist es, die veränderten pädagogischen und gesell­schaft­lichen Anforderungen an die Schulen als Planungsgrundlage aufzunehmen und vergleichbare Rahmen­bedingungen für bauliche Erneuerungs- und Neubaumaßnahmen im Landkreis zu schaf­fen.

Diese Rahmensetzungen sollen belastbar sein, aber gleichzeitig individuelle Gestaltungs­spielräume eröffnen. Der Begriff der »Leitlinie« zeigt einerseits das Verbindliche und soll andererseits eine Gleichschaltung und schematische Standardisierung verhindern.

Da-Di Werk Gebäudemanagement: In: Anlass und Ziele: Schulbauleitlinien schaf­fen Rahmen und Spielräume, Schulbauleitlinien Landkreis Darm­stadt-Dieburg, Band 1, 2013

Unter Berücksichtigung der aktuellen Heraus­forderungen muss an vielen Stellen das Thema Schule und Schulbau neu gedacht werden, denn sie formulieren schließlich einen neuen Anspruch an Ar­chi­tek­tur und Städtebau. Wie kann also eine kurzfristige und gleichzeitig nach­haltige Schaffung von Schulbauten unter diesen Vorzeichen gelingen? Es gilt für zeitgemäße Bildungsbauten einzutreten und die Kompetenzen des Berufs­standes zu nutzen!

Guter Schulbau muss...

Raum als dritten Pädagogen verstehen!

Die Schule ist gebaute Lebensumwelt. Neue Raummodelle, wie Cluster oder offene Lern­landschaften, fördern neues Lehren und Lernen. Sie machen Lust auf Schule! Pädagogik und Ar­chi­tek­tur sind daher zwei Disziplinen, die im Schulbau unbedingt zusammen gedacht werden müssen.

Thomas Ott Fotografie
Kita Weltentdecker, Frank­furt/Main; Claus+Pretzsch Architekten BDA; Tag der Ar­chi­tek­tur 2015
AKH/Christoph Rau
Gymnasium Frank­furter Norden, Frank­furt/Main; Arge raumwerk Gesellschaft für Ar­chi­tek­tur und Stadt­planung mbH & Spreen Architekten Partnerschaft mbH; Tag der Ar­chi­tek­tur 2019

Holzmodulbauweise weiterdenken!

Die Vorteile des Holzbaus lassen sich mit wenigen Worten zusammenfassen: Holz ist ein nachwachsender Roh­stoff, energiesparend und lagert als einziger Baustoff Kohlendioxid ein. Holz besitzt eine hohe Tragfähigkeit, ein geringes Eigengewicht und gute Dämmwerte.

Der Holzmodulbau hat seine Grenzen noch lange nicht erreicht: Er bietet hohe gestalterische Freiheiten und viel Potenzial für „offene Lern­landschaften“. Schon ein anderer Zuschnitt der Basiseinheit ermöglicht Varietät der Raumsequenzen.

Serielles Bauen beschleunigen!

Standardisierte Bauelemente sind geeignet für die Vorfertigung und digitale Fabrikation.

Somit kann das serielle Bauen Zeit im Bauablauf von der Herstellung, Lagerung, Anlieferung bis zur Montage einsparen helfen und damit auch Kosten. Unter Berücksichtigung von Nachnutzung, Elastizität im Funktionswechsel oder Wiederverwendung der Elemente des seriellen Bauens (recycle/upcycle) können diese einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.

Roland Halbe
Turnhallenbaukastensystem in Passivbauweise, Frank­furt/Main; D’Inka Scheible Hoffmann Architekten; Vor­bild­liche Bauten 2011
Zooey Braun
Erweiterung Ludwig-Schwamb-Schule/Mühltalschule mit Ganztagsbetreuung und Inklusion sowie Stadtteiltreffpunkt, Darm­stadt-Eberstadt; walter huber architekten GmbH; Tag der Ar­chi­tek­tur 2019

Schule als integrativen Stadt­bau­stein verstehen!

Neben der Konzeptvergabe ist der Vorzug der Innenentwicklung vor der Außenentwicklung ein wichtiges Instrument integrativer Stadtentwicklung. Unentdeckte Flächenpotenziale sind wegen der Verknappung an Boden auszuschöpfen. Eine Voraussetzung hierfür sind kommunale Flächenkataster, die einen Überblick über Brachen, Baulücken und Möglichkeiten des Bauens in zweiter Reihe für die Innenentwicklung eröffnen.

Moderner Schulbau muss als soziale Infrastruktur nicht nur durch seine räumliche Öffnung, Massstäblichkeit oder Materialität an das Quar­tier eingebunden werden, sondern auch durch eine qualitative Freiraumgestaltung.

Neue Bauformen entwickeln!

Neue Formen der Mischung und die Nachfrage nach einem multifunktionalen Gebäudetyp eröffnen neue Chancen auch für den Schulbau. Der Hybrid wird in der Konstruktion längst praktiziert, dieser könnte ein Modell für die Verknüpfung von bezahlbarem Wohnraum und modernem Schulbau werden. Die Stadt Frank­furt wird einen der ersten Hybridbauten mit einer Schule im Schönhof-Viertel realisieren. 

moka-studio i. A. von a+r Architekten GmbH
Wettbewerb Wohn- und Schulbau als Hybrid, Schönhof-Viertel, Frank­furt/Main, 1. Preis; a+r Architekten GmbH; Visualisierung: moka-studio i. A. von a+r Architekten
AKH/Christoph Rau
Hans-Thoma-Schule mit Sporthalle, Oberursel/Taunus; plus+ bauplanung gmbh; Tag der Ar­chi­tek­tur 2019

Multicodierte Stadträume mit­ein­ander vernetzen!

Der öffentliche Raum ist Lebensraum und die Infrastruktur der Zukunft. Er muss wieder als baukulturelle Aufgabe begriffen werden. Nur durch eine qualitative Freiraum­planung kann eine Trans­for­ma­ti­on von Stadträumen gelingen und findet in der Gesellschaft Akzeptanz.

Eine Chance liegt auch in der Mobilitätswende. Sie ermöglicht eine Rückeroberung des öffentlichen Straßenraums durch den Menschen. Die Devise muss sein: vom Verkehrsraum zum Aufenthaltsraum. 

Neue Frei- und Grünräume können die Wildnis (u.a. Biodiversität) in die Stadt zurückholen und halten Einzug in die Schule. Sie verstehen sich als erweiterte „grüne“ Klassenzimmer.

Klima­an­passung mitgestalten!

Neben der Förderung des Holzbaus und einer qualitativen Freiraum­planung kann auch die Hausbegrünung, von der Fassade bis zum Dach, einen Beitrag zum Klima­schutz sowie zur Abkühlung der überhitzen Städte und Gebäude leisten. Auch das Vokabular der Ar­chi­tek­tur bietet mit seinen Bauelementen, wie der Dachform oder der Loggia, kreative Lösungen zur Klima­an­passung.

Dietmar Strauß
Instituts­gebäude PTH St. Georgen, Frank­furt/Main; Kissler Effgen + Partner Architekten; Vor­bild­liche Bauten 2008
Trapez Ar­chi­tek­tur/C.L.R.D.T
Wettbewerb Sanierung/Erweiterung Römerstadtschule für jahrgangsübergreifende und inklusive Lerngruppen, Frank­furt/Main, 1. Preis; Trapez Ar­chi­tek­tur GmbH, Visualisierung: Trapez Ar­chi­tek­tur/C.L.R.D.T

Teilhabe und Inklusion er­mög­lichen!

Die Einbindung von Schulamt, Schülern, Lehrern und Eltern in die Planung von Schulbauten erfolgt bereits erfolgreich an vielen Stellen in der Phase 0. Jedoch findet diese oftmals aus ökonomischen Zwängen keine Berücksichtigung. Umfassende Partizipation bedeutet aber auch Schule als Teil des Quar­tiers zu denken und im Interesse neuer Formen der Mischung und Zugänglichkeit auch nachbarschaftliche Belange stärker zu berücksichtigen. Zukünftig wird es zunehmend wichtig sein, Planungen von Schulbauten partizipativ anzugehen. 

Bau­kultur fördern!

Mit der sogenannten Phase 0 bis Phase 10, unter Berücksichtigung der Interessen unterschiedlicher Planungsbeteiligter, wird Teilhabe praktiziert, Akzeptanz geschaf­fen und für die gebaute Umwelt sensibilisiert. Es kann als ein nützliches Instrument zur Aufgabenformulierung eines Wettbewerbsverfahrens angesehen werden. Der Architekten­wett­bewerb steht für Planungs- und Verfahrenskultur. 

ANP Ar­chi­tek­tur- u. Planungs­gesellschaft
Wettbewerb Neubau einer Kita, Wittenberg, 1. Preis; ANP Ar­chi­tek­tur- und Planungs­gesellschaft mbH

Gute Schulen sind nun mal ein Standortvorteil und steigern die Attraktivität des Kreises.

Ulrich Krebs, Landrat Hochtaunus, Schulbauprogramm „Schulen für das 21. Jahrhundert“, Taunus-Zeitung 21.11.2017

Die AKH engagiert sich in dem bundes­weiten Länderkammer-Projekt „Ar­chi­tek­tur macht Schule“ und hat in Zusammen­arbeit mit Pädagog*innen und Kurator*innen mehrere Orientierungs­hilfen, Lehrmaterialien und Publikationen als Handreichungen zur Ar­chi­tek­turvermittlung veröffentlicht. Schüler*innen können somit spielerisch an das Thema der Bau­kultur herangeführt und für die gebaute Umwelt sensibilisiert werden.

Veröffentlichungen

Ar­chi­tek­tur macht Schule

Zum AKH-Shop

Best Practice Schulbau in Hessen

Schulbau-Messe 2022

Nachhaltiger Schulbau: Ein Umdenken lohnt sich

Auf der Schulbau-Messe, am 21.04.2022 in Frank­furt am Main, ist Holger Zimmer, Vizepräsident AKH, zusammen mit dem Architekten Alexander Koblitz, im Gespräch mit Cubus Medien. Beide stellen sich den Fragen zu den Heraus­forderungen im Schulbau, zum Thema Nachhaltigkeit, Modulbau oder Recyclingfähigkeit der eingesetzen Materialien.

Zum Audiointerview
Schulbau-Messe 2019

Heraus­forderungen im Schulbau – neue Bildungsorte – neue Planungskultur

Die AKH ist seit 2018 Kooperationspartnerin der Schulbau-Messe in Frank­furt am Main. Am 27. November 2019 wurde Brigitte Holz, Präsidentin der AKH, auf der zweiten Schulbau-Messe zu den aktuellen Ent­wick­lungen im Schulbau in Hessen befragt.

Zum Audiointerview

Bei der Hessenwaldschule in Weiterstadt haben sich Ar­chi­tek­tur und Pädagogik zu einer spannenden Einheit mit­ein­ander verbunden. So ist ein modernes „Lernhaus“ mit Vorbildcharakter für den Schulbau der Zukunft entstanden. 

Best Practice

Lernen im Cluster oder die neue Gemein­schaft der Räume

Mehr erfahren
Zukunfts­werk­statt 2040

Bildungsstandorte als Impulsgeber der Stadtentwicklung

Lust auf Zukunft

Im Umbruch von der Industrie- zur Wissensgesellschaft werden Bildungsorte zunehmend zum Treiber von Regional- und Stadtentwicklung. Die Zukunfts­werk­statt 2040 der AKH hat Szenarien entwickelt, wie zukunftsweisende Synergien zwischen Forschung, Wissenschaft und Wirtschaft die Stadt und Region stärken können.

Handbuch zur baukulturellen Bildung

Bau­kultur braucht Bildung! Ein Handbuch

Bundesstiftung Bau­kultur (Hrsg.)

Eigenverlag: Potsdam 2020

Zum Inhalt