Wie wollen wir 2040 in Hessen leben?
Eine vermeintlich schlichte Frage, die Politiker, Bürger und Planer gleichermaßen berührt. Die Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen hat sich dieser Frage in einer eigens kuratierten Ausstellung gewidmet.
Die Ausstellung „Stadt Land Zukunft - Hessen 2040" mit den Ergebnissen der Zukunftswerkstatt wurde am 25. September 2018 von Kammerpräsidentin Brigitte Holz gemeinsam mit Staatsminister Axel Wintermeyer und Oberbürgermeister Jochen Partsch eröffnet. Sie skizziert in einer Zwischenbilanz Zukunftsbilder für drei exemplarisch ausgewählte Regionen mit ihren jeweils charakteristischen Herausforderungen: Darmstadt und sein Umland – dort gilt es, das Wachstum qualitativ zu gestalten –, Kassel und sein Umland – dort gilt es, die Ankerstadt zu stärken und unter Einbeziehung der Land- und Forstwirtschaft das Umland produktiv zu nutzen. Und schließlich die Lahn-Städtekette Marburg, Gießen, Wetzlar: Hier besteht die exzellente Voraussetzung für die Weiterentwicklung zu einer dynamischen Wissens- und Forschungsregion. Die präsentierten Szenarien geben Anstöße zum Querdenken und laden dazu ein, Hessen anders zu sehen.
Die Ausstellung war vom 28. September bis zum 14. Oktober 2018 im Designhaus auf der Mathildenhöhe in Darmstadt zu sehen und wandert ab 2019 durch Hessen. Sie entstand unter Mitwirkung von bgmr Landschaftsarchitekten, Berlin, und must Städtebau, Köln (Analyse), empirica, Bonn (Daten und Fakten), Urban Nomads Foundation, NL-Wijhe (Collagen) und DIESE Studio, Darmstadt (Ausstellungsdesign).
Wachstum intelligent steuern - Stadt regional steuern
Darmstadt zieht junge Leute an. Als Schwarmstadt winken ihr beste Zukunftsaussichten und vorderste Plätze in den Rankings. Als Siegerin im Wettbewerb „Digitale Stadt“ setzt Darmstadt klare Zeichen. In der Digitalisierung liegt die Zukunft. Preis der Attraktivitat sind: Nutzungsdruck, Flächenknappheit, Verkehrsbelastung, Wohnungsmangel. Große Herausforderungen. Die Stadt stellt sich. Gentrifizierung und Segregation - Bevölkerungsaustausch zu Lasten der Schwächsten möchte niemand. Zersiedlung auch nicht. Wertvolle Landschaftsräume stehen auf dem Spiel. Doch das innerstädtische Nachverdichtungspotenzial ist bald erschöpft, der Nachfragedruck weiterhin ungebrochen. Smart City, Smart Region –ein Leitbild fur die Stadtregion der Zukunft? Was bedeutet dies für die Raumentwicklung? Ein qualitatives Wachstumsmodell ist gefragt - so die These - das Urbanität und Natur neu verbindet und Wachstum regional denkt.
Szenario Regionalstadt
Handlungsfelder Regionalstadt
Industriegebiete umnutzen
Leer stehende Industriegebäude werden zu Co-Living und Co-Working-Spaces umgenutzt. Wohnen und Arbeiten in unmittelbarer Nachbarschaft und in Gemeinschaft wird Realität. Der neue Nutzungsmix belebt den öffentlichen Raum.
Wohnungsvielfalt erzeugen
Monofunktionale Einfamilienhaussiedlungen werden mit neuen Wohnformen und Wohntypologien ergänzt. zielgruppen mit neuen lebensentwürfen werden angelockt.
Gewerbe weiter denken
Logistik und Einzelhandelsgebäude: Herkömmlich oft flach, mit Rampen und vielen Parkplätzen, fressen Fläche. Was kann man auf diese „Handelskisten“ packen? Unterschiedliche Nutzungen zu stapeln, kann Flächeninanspruchnahme und Landschaftszersiedlung Einhalt gebieten.
Ressourcen heben - Profil Zeigen
Im Umbruch von der Industrie- zur Wissensgesellschaft werden Bildungsstandorte zunehmend zum Treiber von Regional- und Stadtentwicklung. Das Zusammenwirken von Wissenschaft und Wirtschaft birgt große Potentiale. Die Städte Marburg, Giesen, Wetzlar sind wichtige Hochschulstandorte. Die Region hat mit über 71.000 Studierenden die höchste Studierendendichte im bundesdeutschen Vergleich. Die Städte entwickeln sich jedoch sehr unterschiedlich. Gießen wird – zunehmend als Wohnstandort nachgefragt – vom Entwicklungsdruck der Rhein-Main-Metropole beeinflusst. Wetzlar läuft Gefahr zu überaltern. Die Entwicklung Marburgs ist anderweitig bestimmt. Die gut erhaltene Altstadt entfaltet Reiz fur Bürger wie Touristen. Die Stadt ubernimmt für das Umland wichtige Ankerfunktionen. Der Flusslauf der Lahn wird als Bindeglied aller drei Stadte bislang wenig wahrgenommen. Liegt in einer vernetzten Städtekette, einer dynamischen Wissens- und Forschungsregion die Perspektive? Die besondere räumliche Identität - so die These - sowie die forcierte Entwicklung grüner, blauer, grauer und digitaler Infrastrukturen bietet die Chance einer zukunftsweisenden Regionalentwicklung.
Szenario Lahnstädte
Handlungsfelder Lahnstädte
Verkehrsräume umbauen
Innerstädtische Straßen und Umgehungsstraßen werden in die Gestaltung öffentlicher (Frei-)Räume einbezogen. Barrierewirkungen werden reduziert. vernetzungen und Aufenthaltsqualität werden gefördert.
Städte zur Lahn orientieren
Die Lahn verbindet und stiftet Identität. Ihre Uferzonen werden, in Reaktion auf den jeweiligen Genius Loci, urban, inszenierend oder naturnah gestaltet. Ein besonderer Reiz liegt im Wechsel der Erlebbarkeit des Flusslaufs.
Verdichtung verfolgen
Neugründungen von Start-ups, Ausgliederungen universitärer Einrichtungen – wachsende und neue Bedarfe bringen Dynamik in die Umnutzung und Nachverdichtung untergenutzter Standorte. Die Städte werden räumlich kompakter. Wohnen und Arbeiten in unmittelbarer Nachbarschaft ist möglich.
Entwicklung konzentrieren - Umland vernetzen
78 Prozent der Deutschen wurde am liebsten in einer Landgemeinde, einer Mittel- oder Kleinstadt leben, nicht aber auf dem „platten Land“. Slow Culture und Neo-Okologie sind aktuelle gesellschaftliche Trends. Bieten die damit verbundenen Lebensstile und Organisationsformen Potential fur die landlich gepragten Raume Hessens? Kassel als Zentrum im landlichen Raum Nordhessens ist durch vielfaltige Verknupfungen zwischen Kernstadt und Umland gepragt. Wachstum und Schrumpfung finden dennoch fast zeitgleich statt. Wahrend die Ankerstadt von ihrer Zentralitat und dem breiten Versorgungsangebot profitiert, ringen umliegende Dorfer aufgrund von Uberalterung und Abwanderung um ihre Perspektiven. Eine Profilierung der Gesamtregion unter Einbeziehung der Landschaft, der Land- und Forstwirtschaft - so die These - kann die Strahlkraft der Region im Sinne eines rural-urbanen Lebensraums vergrosern und nachhaltig profilieren.
Szenario Produktive Landschaft
Handlungsfelder Produktive Landschaft
Landschaftsräume vernetzen
Naherholungsgebiete, Land- und Forstwirtschaftszonen werden nachhaltig entwickelt. Die Landschaftsräume um Kassel führen in die Stadt hinein und vernetzen die Stadt mit ihrem Umland.
Mikroarchitekturen als Markenzeichen etablieren
Aussichtsplattformen, Brücken, Rastplätze und Infopunkte werden als baukulturelle Highlights im Mikroformat in die Landschaft implementiert. Sie tragen zur Erschließung und Identitätsbildung der Naherholungsräume bei und machen Lust auf das Bauen mit Holz.
Regionales Branding erzeugen
Der Baustoff holz wird genutzt, um regionale Wertschöpfungsketten zu etablieren. Die Bereiche Forschung und Entwicklung, Planung und Produktion arbeiten eng zusammen, um Innovation im Holzbau zu generieren und regionale Baukultur „made in Nordhessen“ zu etablieren.
Ausstellung im Designhaus Darmstadt
Katalog zur Ausstellung Stadt Land Zukunft
Stadt Land Zukunft
Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen / Brigitte Holz, Gertrudis Peters, Dr. Martin Kraushaar (Hrsg.)
AKH: Wiesbaden 2019
u.a. mit Beiträgen von Thomas Abraham/empirica, Arno Bunzel/DIfU, Markus Harzenetter/LfD Hessen.