Rathaus Korbach - Urban Mining Modellprojekt und kreislaufgerechtes Planen
Objekt | Rathaus Korbach, Stechbahn 1, 34497 Korbach |
---|---|
Bauvorhaben | Stadtentwicklung, Bauen im Bestand, Neubau |
Typologie | Verwaltungsbau, Bürogebäude |
Architekten | ARGE agn heimspiel architekten, Münster, www.agn.de, www.heimspielarchitekten.de |
Bauherren | Hanse- und Kreisstadt Korbach, Fachbereichsleitung Bauen und Umwelt |
Fertigstellung | 2022 |
Auszeichnungen | Anerkennung auf dem Gebiet einer resilienten, gemeinwohlorientierten Daseinsvorsorge, Auszeichnung Vorbildlicher Bauten im Land Hessen 2023, verliehen vom Land Hessen und der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen |
Beurteilung der Jury
Das neue Rathaus von Korbach, der Kreis- und Hansestadt des Landkreises Waldeck-Frankenberg, westlich von Kassel, thront auf dem höchst gelegenen Standort des mittelalterlichen Stadtzentrums. Es ist ein prägendes Gebäude: modern, hochwertig, reduziert in der Materialwahl und zugleich repräsentativ. Sowohl aus baukultureller Sicht als auch als Instrument der Stadtreparatur ist das Projekt äußerst gelungen. Durch sein Aufgreifen des Maßstabs und der Giebelstrukturen fügt sich das Rathaus angemessen in das Stadtbild und den städtebaulichen Kontext der Altstadt ein. Das Gebäude nimmt historische Bezüge auf, ohne im engeren Sinn historisierend zu sein.
Durch das Verfahren des Urban Minings, dass durch den Rückbau des alten Rathauses aus den 1970er-Jahren erfolgte, ist der Bau auch ein Modellprojekt des kreislaufgerechten Bauens. Es zeigt auf, wie wir schrittweise zu einer nachhaltigen Praxis im Planen und Bauen kommen und zugleich eine hohe ästhetische Qualität erreichen. Hervorzuheben ist hierbei das persönliche Engagement einzelner Personen, das zeigt, wie gute Baukultur oftmals entsteht: durch den Gestaltungs- und Innovationswillen Einzelner für die gebaute Umwelt.
Trotz seines Vorbildcharakters erfüllt der Bau nicht alle Kriterien, die es an eine zukünftige Umbaukultur zu stellen gilt. Der weitgehend versiegelte Außenraum dient der Repräsentation des Gebäudes und der Stadtgesellschaft durch große Treppenanlagen und einen Vorplatz, wirft aber vielfältige Fragen an die weitgehend fehlende Begrünung und Maßnahmen zur Klimaanpassung auf. Somit verbleibt das neue Rathaus in Korbach als beeindruckender Bau im Gedächtnis, der innovative Ansätze aufzeigt und Anschlussfragen aufwirft: Ist es wirklich vorbildlich, heute noch vorwiegend in Beton zu bauen? Ist ein Neubau dieser Größe als Rathaus für eine Kleinstadt angemessen? Welche zivilgesellschaftlichen Nutzungen werden im Rathaus Platz finden und entspricht die Raumaufteilung den Anforderungen der agilen Arbeitswelt?
Die Schilderung des Umsetzungsprozesses verdeutlicht, dass unsere gewohnte Bau- und Vergabepraxis in vielerlei Hinsicht aktualisiert und konsequenter an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet werden muss, z. B. durch die Auswahl des Rückbauunternehmens nach Ortsnähe anstatt nach dem besten Preisangebot, oder die Verwendung von wasserundurchlässigem Beton bei erdberührenden Bauteilen anstelle von Verbundabdichtungen. Auch hier steht das Projekt beispielhaft und zeigt, wie wichtig und zugleich schwierig das kritische Hinterfragen jedes Schrittes im Planungs- und Bauprozess tatsächlich ist. Das in Korbach geltende Prinzip des „weniger ist mehr“ ist konsequent durchgezogen und versteht Planen und Bauen als lernenden Prozess. Dabei ist nicht allein das gebaute Resultat zu bewerten, sondern vor allem auch die Übertragbarkeit der Erkenntnisse.
Anna Bernegg, Dipl.-Ing. Landschaftsplanung, Geschäftsführerin, _fwd forward Planung & Forschung GmbH VE i.G.