13.09.2023 | AKH, Politik

Wie bleibt Hessen erfolgreich?

Dreieinhalb Wochen vor der Landtagswahl in Hessen am 8. Oktober 2023 war die AKH bei der ge­meinsamen Veranstaltung von Kammern in Hessen mit den Fraktionsvorsitzenden im Landtag dabei. Auf die Frage „Wie bleibt Hessen erfolgreich?“ geben die Parteien unterschiedliche Antworten.

Kammern in Hessen hatte die Landtagsfraktionen zu einem po­li­ti­schen Austausch eingeladen. Die übergreifende Frage lautete am 13. September 2023 „Wie bleibt Hessen erfolgreich?“. Auf dem Podium im Meistersaal im Haus des Hessischen Handwerks standen MdL Jörg Michael Müller (CDU) und die Fraktionsvorsitzenden Matthias Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Günter Rudolph (SPD), Robert Lambrou (AfD), René Rock (FDP) sowie (Co-)Fraktionsvorsitzender Jan Schalauske (DIE LINKE) für die aktuell im Landtag vertretenen Parteien Rede und Antwort. Bei dieser dritten Gemein­schaftsveranstaltung der 15 hes­si­schen Kammerorganisationen im Vorfeld einer Landtagswahl führte Tobias Radloff, bekannt als Moderator beispielsweise bei Hit Radio FFH, durch den Abend.

Als Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft der Handwerkskammern in Hessen führte Susanne Haus in die für die Wirtschafts-, Handwerks- und die Kammern der freien Berufe drängendsten Themen ein, um den Erfolg in den Unternehmen, Büros und Praxen sicherzustellen: Fachkräftemangel, schwindende Wirtschaftskraft, langwierige po­li­ti­sche Entscheidungsprozesse und bürokratische Verwaltungsverfahren.

Auf Radloffs Frage, ob angesichts dieser Heraus­forderungen überhaupt die Rahmen­bedingungen für den Mittelstand in Hessen stimmen, verwies Müller darauf, dass von vielen Regelungen Abstand zu nehmen sei, um den Unternehmen die Freiheit zu geben, Neues auszuprobieren. Rock kritisierte, dass Hessen oft genauso nur noch Mittelmaß in Deutsch­land sei, wie Deutsch­land in Europa und Leis­tungsbereitschaft wieder einen neuen Stellenwert bekommen müsse. Wagner mahnte einen Willen zur ge­meinsamen Gestaltung in Politik und Gesellschaft an, nur so seien die anstehenden Heraus­forderungen konstruktiv zu lösen.

Zum Thema der Infrastruktur erinnerte Rudolph, dass 50 Prozent der Hessinnen und Hessen auf dem Land zuhause seien und die Infrastruktur vor Ort gestärkt werden müsse. Müller stellte die Unverzichtbarkeit des Individualverkehrs zur Deckung der Mobilitätserfordernisse des ländlichen Raums in den Vordergrund, was allerdings selbstredend neue Konzepte für den Ballungsraum mit einschließe. Schalauske merkte kritisch an, dass Hessen nicht die Fördermöglichkeiten ausnutze, die die Bundesebene zum Beispiel im Wohnungs­bau biete.

Beim Erfordernis der Durchlässigkeit des Bildungssystems und der Berufsorientierung in den Schulen bestand grundsätzliche Einigkeit zwischen den Vertretern von CDU, Grünen, SPD und FDP. Rudolph legte den Akzent stärker auf die Verfügbarkeit von Berufsschulen und der Investition in Berufsschulen im ländlichen Raum, Rock mehr auf Digitalisierung, Zuwanderung und auch darauf, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Rudolph und Müller waren sich darin einig, dass die Gleichwertigkeit von akademischer und dualer beruflicher Ausbildung wichtig sei.

Beim Fachkräftemangel sah Wagner drei Einflussmöglichkeiten: Verbesserte Bildungsangebote, so solle zum Beispiel die duale Ausbildung aufgewertet und gestärkt werden, Steigerung der Erwerbsquote von Frauen u. a. durch bessere Kinderbetreuung, und Ermöglichung von Fachkräfte-Zuwanderung, verbunden mit der Aufgeschlossenheit, Zuwandernden das Einleben leicht zu machen. Während diese Analyse mit unter­schiedlichen Akzenten bei CDU, SPD und FDP ähnlich eingeschätzt wurde, stießen sie bei Lambrou von der AfD auf deutliche Kritik. Er wehrte sich gleichzeitig dagegen, dass seine Partei fremdenfeindlich sei, wenn sie auf der Zuwanderung nur von qualifizierten Fachkräften beharre. Vor allem aber sah er das Problem darin, dass qualifizierte Fachkräfte sich in­ter­na­tio­nal aussuchen könnten, in welchen Ländern sie ihre weitere Zukunft suchen. Da präsentiere sich Deutsch­land wegen der hohen Steuer- und Abgabenlasten und der überbordenden Bürokratie als unattraktiv.

Schalauske stellte klar, dass seine Partei nicht Menschen zwangsweise frühzeitig in Rente schicken wolle. Denjenigen aber, deren Arbeitsleben von körperlich anspruchsvoller Tätigkeit geprägt sei, wolle man eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters nicht zumuten. Darüber hinaus verwies er darauf, dass wer Fachkräfte wolle, Ausbildungsgänge so reformieren müsse, dass Auszubildende auch ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Entsprechend mahnte er mit Blick auf den Wohnungs­bau vermehrte Anstren­gungen im Bereich von öffentlichem Wohnungs­bau, insbesondere auch bei Wohnheimen für Azubis und Studierende an. Müller trat dafür ein, das Bauen zu vereinfachen und digitale Bauantragsverfahren zu beschleunigen und zu vereinheitlichen. Wagner rief dazu auf, die digitale Trans­for­ma­ti­on mit einem Bewusstseinswandel zu verknüpfen: Nur wenn es den Mut gebe, Prozesse zu hinterfragen und auf dem Wege der Digitalisierung zu verbessern und Entscheidungsverantwortung zu übernehmen, werde sie ein Erfolg.

Eine von allen Kammerorganisationen eingesetzte Arbeitsgruppe, in der auch die AKH vertreten ist, hatte die Veranstaltung kurzfristig auf die Beine gestellt. Als Leitfaden für den Moderator legte das Gremium unter dem Schirm der übergeordneten Frage „Wie bleibt Hessen erfolgreich?“ folgende inhaltlichen Schwerpunkte: Infrastruktur und Versorgung, Fachkräftesicherung sowie Bürokratieabbau. Jeder Podiumsteilnehmer erhielt für seine Antwort jeweils 90 Sekunden. Radloff, als auch das Publikum, hatten die Uhr fest im Blick. Das Konzept der Veranstaltung ging auf. Dieses „enge Korsett“, führte zu einer gezielten Beantwortung der Fragen durch die Mitglieder des Landtags, ließ dadurch aber auch keinen Raum für die Abklärung von Details. Trotz aller Gemeinsamkeiten bei 15 verschiedenen Kammer-Blick­winkeln eine wohlüberlegte Vorgehensweise.

Die knapp 100 Teilnehmenden aus Kammern, Wirtschaft und Politik hatten anschließend die Gelegenheit zum Austausch untereinander und mit den Vertretern des Landtags. Dies bot die Chance in persönlichen Ge­sprächen spezifischere Kammeranliegen zu adressieren.

Die Kammern selbst wurden auf dem Podium durch Susanne Haus, in Personalunion neben ihrem Amt als Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft der Handwerkskammern in Hessen auch Präsidentin der Handwerkskammer Frank­furt/Rhein-Main, und Dr. Heike Winter, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hessen, repräsentiert. Haus hob die grundlegende Be­deutung des Austauschs zwischen Politik und Ehrenamtsträgern der Kammern für die pragmatische Weiter­entwicklung Hessens hervor und erklärte: „Wir stehen jederzeit als offene und faire Gesprächspartnerinnen und -partner zur Verfügung.“ Zum Abschluss des offiziellen Teils der Veranstaltung appellierte Winter, dass die aktuellen Probleme parallel angegangen werden müssen. Für eine Bearbeitung nacheinander bleibe keine Zeit.

 

Über Kammern in Hessen

Die 15 Kammerorganisationen in Hessen stehen für das Prinzip der Selbst­verwaltung der Wirtschaft und der Freien Berufe. Sie repräsentieren mehr als 400.000 Unternehmen und rund 100.000 freiberuflich Tätige. Rund 2,4 Millionen Menschen haben in Unternehmen der hes­si­schen Wirtschaft und bei Freiberuflern einen Arbeitsplatz. Mehr als 100.000 junge Menschen finden als Auszubildende eine berufliche Perspektive.

Unter dem Motto „Kammern in Hessen – Freiheit in Ver­ant­wor­tung“ zeigen die hes­si­schen Kammern geschlossen Flagge und sind gemeinsam seit mehr als zehn Jahren mit Veran­staltungen unterwegs, um den Gedanken des Kammerwesens in der Öffentlichkeit und gegenüber der Politik zu stärken.

Sandra Hauer
Die Sprecher*innen auf dem Podium, v. l. n. r.: Robert Lambrou (AfD), Jörg Michael Müller (CDU), René Rock (FDP), Dr. Heike Winter (Psychotherapeutenkammer Hessen), Günter Rudolph (SPD), Susanne Haus (Arbeitsgemeinschaft der Handwerkskammern in Hessen), Matthias Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Jan Schalauske (DIE LINKE)